Dienstag, 18. April 2000

Zuckerbrot und Peitsche

Vorbereitungen der Berliner Polizei für den 1. Mai. Briefe an Demonstranten

Ralf Fischer / Junge Welt

Der 1. Mai steht vor der Tür. Auch in diesem Jahr für die Berliner Polizei ein »Arbeitstag«, auf den sie sich mit unterschiedlichen Strategien vorbereitet. Erst vergangene Woche wurde der Öffentlichkeit bei einer Pressekonfernz das alte AHA-Konzept vorgelegt, bei der Aufmerksamkeit, Hilfe und Appelle (jW berichtete) im Mittelpunkt einer deeskalierenden Polizeiarbeit stehen sollen. Diesmal wurde das übliche Programm etwas erweitert. So soll zum Beispiel am 30. April ein von der Polizei organisiertes Familienfest auf dem Kollwitzplatz stattfinden. Auch das Anti-Gewalt-Mobil, schon im letzten Jahr im Einsatz, wird wieder aus der Mottenkiste geholt. In diesem ehemaligen Polizeiwagen werden Waffen ausgestellt, die am 1. Mai angeblich gegen die Polizei zum Einsatz gekommen sind.

Wie im vergangenen Jahr, so wurden auch diesen April wieder junge Aktivisten der linken Szene von der Polizei persönlich angeschrieben. In dem Standardschreiben heißt es trocken, »nach polizeilichen Erkenntnissen sind Sie in der Vergangenheit als Teilnehmer an gewalttätigen Versammlungen festgestellt worden«. Bereits 1999 drohte die Polizei einigen Linken mit dauerhaften Beschattungen und Festnahmen, falls sie sich am 1. Mai politisch artikulieren sollten. Dieses Jahr liest sich diese Einschüchterung durch die Blume ein bißchen freundlicher: »Wir weisen Sie daher darauf hin, daß gewalttätige Handlungen einen Verstoß gegen geltende Gesetze darstellen. Die Polizei von Berlin wird ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend derartige Gesetzesverstöße konsequent verfolgen.«

Der Zweck der letzte Woche verschickten Briefe liegt auf der Hand. Der Brief schließt mit den Worten: »Falls Sie die Absicht haben, sich an den Veranstaltungen zum diesjährigen 1. Mai zu beteiligen, appellieren wir an Sie, dies friedlich zu tun.« Worte, die den Empfängern klarmachen sollen: Wir haben euch im Visier.

Eine betroffene Personen sagte gegenüber junge Welt, daß nichts und niemand sie davon abhalten könne, am 1. Mai für eine gerechtere und solidarische Welt zu demonstrieren. Schließlich gingen die Auseinandersetzungen mit der Polizei, wie letztes Jahr, »fast immer von der Polizei aus« oder würden von Polizisten provoziert.

Donnerstag, 13. April 2000

Versammlungsfreiheit eingekesselt

Prozesse gegen Teilnehmer einer Anti-Rep-Kundgebung am Tag der Abgeordnetenhauswahlen in Berlin

Ralf Fischer / Junge Welt

Wegen der Teilnahme an einer Spontankundgebung in Berlin- Pankow im Oktober letzten Jahres vor der Bundes- und Landeszentrale der Republikaner müssen sich in den nächsten Wochen acht Antifaschisten verantworten. Beschuldigt werden sie des »Widerstands gegen die Staatsgewalt« und des »Landfriedensbruchs«. Fälle wie dieser reihen sich lückenlos in eine Reihe von Kriminalisierungen politischer Gegner ein, wie sie in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten praktiziert wird. Opfer dieser Art von Repression sind aktive Antifaschisten, Andersdenkende sowie Flüchtlinge und Obdachlose. Auf der anderen Seite werden Rechtsextreme zu Opfern stilisiert und ihre Aktivitäten verharmlost oder sogar legitimiert.

Zum Fall: Am 10. Oktober 1999 fanden in Berlin die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen statt. Angesichts der Prognosen, daß es den rechtsextremen Republikanern gelingen könnte, den Sprung in einige Kommunalparlamente zu schaffen, versammelten sich in den frühen Abendstunden etwa 80 Antifaschisten spontan vor dem Gartenhaus der Villa Garbáty in Pankow. Das Haus dient seit Anfang 1999 als Bundeszentrale für die Neonazi-Partei. Eine Anmeldung der Kundgebung wurde unmöglich gemacht, da von den rund 100 Beamten aus Pankow und Wedding niemand bereit war, diese entgegenzunehmen. Ein massiver Eingriff in die Versammlungsfreiheit.

Innerhalb kürzester Zeit sahen sich die Protestierenden mit einer aggressiv auftretenden Polizeihundertschaft konfrontiert. Ein Transparent und Sprechchöre der vorrangig jugendlichen Teilnehmer reichten den Beamten schon aus, um mit äußerster Brutalität gegen die sie vorzugehen. Durch Tritte und Stöße der Polizisten kam es zu zahlreichen Stürzen und Verletzungen. Um weitere Provokationen durch die Hüter von Gesetz und Ordnung zu umgehen, beschlossen die Demonstranten kurzerhand, in einer größeren Gruppe den Heimweg anzutreten. Damit sollte vor allem ein ungehinderter Abzug gesichert werden. Mit der Bildung von Spalieren sowie der Einkesselung durch die Polizei wurde der Abzug jedoch verhindert. Es kam zu einem Gerangel, in dessen Verlauf acht Antifaschisten festgenommen wurden. Sie erfuhren dabei weder den Grund ihrer Festnahme noch erhielten sie auf Anfrage die Dienstnummern der an ihrer Verhaftung beteiligten Beamten. Während der Festnahmen kam es zu zahlreichen Provokationen und Beleidigungen durch Polizisten. Die acht wurden in die Gefangenensammelstelle Wedding gefahren.

Trotz mehrerer Anfragen erfuhren die Verhafteten weiterhin nicht, aus welchem Grund ihre Festnahme erfolgte. Rechtsanwälte oder Angehörige konnten nicht informiert werden. Entlassen wurden die Betroffenen erst am späten Abend, nachdem sie sich noch einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterziehen mußten.

Diesem illegalen Handeln der Polizei will sich eine Gruppe junger Antifaschisten entgegenstellen. Sie wollen auf das Vorgehen der Polizei aufmerksam machen und für die Betroffenen Hilfe organisieren. Die wichtigste Aufgabe, die sich die »Antirepressionsgruppe 10.10.99« stellt, ist der Versuch, das Vorgehen der Polizei transparent zu machen. Sie hoffen mit Hilfe einer kritischen Öffentlichkeit die Einstellung der Verfahren zu erreichen.

Am kommenden Samstag ab 16 Uhr gibt es aus diesem Grund ein Antifa-Soli-Konzert in der Kulturfabrik Berlin- Moabit.