Mittwoch, 13. Dezember 2000

Ständiger Aufstand

Brandenburger Antirassisten und Antifaschisten trafen sich in Potsdam

Ralf Fischer / Junge Welt

Mehr als 200 überwiegend junge Menschen versammelten sich am Sonntag in Potsdam zu einer Zwischenbilanz der antirassistischen und antifaschistischen Initiativen Brandenburgs. In einer Erklärung forderten die Initiativen die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie wollen Verhältnisse, die von politischer, ökonomischer, sozialer Gleichberechtigung und der Teilhabe aller an politischen Entscheidungen wie am gesellschaftlichen Besitz bestimmt sind.

Wesentliche Teile der deutschen Bevölkerung sympathisierten mit rassistischen Positionen, hieß es weiter. Gesetze und Verordnungen führten zu rassistischen Praktiken staatlicher Institutionen. Die neofaschistische Bewegung in Deutschland werde so bestärkt und könne sich als Vollstreckerin staatlicher und individueller Interessen geben. Dieses Zusammenwirken schaffe für Menschen, die nicht der rassistischen Vorstellung eines deutschen Erscheinungsbildes entsprechen oder die keinen deutschen Paß besitzen, einen Alltag permanenter Bedrohung.

Asylsuchende würden in Deutschland zu Menschen zweiter Klasse degradiert. In Brandenburg würden Flüchtlinge in Sammelunterkünften untergebracht, die meist schon durch ihren Zustand und ihre Lage Ausgrenzung zum Alltag darstellten. Kritisiert wurde auch die Abschottungspolitik an den Grenzen. Der personell und technisch hochgerüstete Bundesgrenzschutz jage tagtäglich Menschen an der Grenze zu Polen. Diese Menschenjagd ist für die über 25 Initiativen die Umsetzung der rassistischen Forderung »Ausländer raus«.

In vier Arbeitsgemeinschaften wurde am Wochenende versucht, praktische Schlußfolgerungen aus der gegenwärtigen Situation zu ziehen. In der AG »Sommerloch« fand eine Auseinandersetzung über eine mögliche Vereinnahmung durch den »staatlichen Antifaschismus« des Herrn Thierse statt. Die meisten Teilnehmer verstanden nicht, warum die Antifaschistische Aktion Potsdam ihre Kampagne gegen Kioske eingestellt hat, die Nazizeitungen verkaufen. Auch die Forderung, sich jetzt aus allen bürgerlichen Bündnissen gegen Rassismus und Faschismus zurückzuziehen, wurde mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen.

Die Organisatoren unternahmen mit der Konferenz einen weiteren Schritt, die Arbeit antirassistischer und antifaschistischer Initiativen in Brandenburg zu verknüpfen.

Donnerstag, 30. November 2000

Handzettel gegen Nazitreffpunkte

Aktion Treptower Antifa-Gruppe

Ralf Fischer / Junge Welt

Das »Johannisstübel« am Busbahnhof Berlin- Schöneweide und die Gaststätte »Fliegerheim« sind schon seit einiger Zeit beliebte Treffpunkte der regionalen Neonaziszene. Vor allem das »Johannisstübel« dient wegen seiner fast unbeschränkten Öffnungszeiten als Anlaufpunkt für Rechtsextremisten aus Treptow und Köpenick. In Zeiten des Wahlkampfes zogen von hier aus die Mitglieder der rechtsextremen NPD aus, um ihre rassistischen Plakate aufzuhängen. Zudem wurden Überfälle auf alternative Jugendliche verübt, die direkt aus dem »Johannisstübel« heraus begangen wurden. Zu den Stammgästen der Gaststätte zählen gewaltbereite Naziskins, Aktivisten der NPD, Mitglieder der verbotenen »Blood & Honour«-Bewegung und Angehörige der Kameradschaftsszene. Vom »Fliegerheim« aus kam es schon mehrfach zu Bedrohungen gegen Besucher des Jugendzentrums »Audio«.

Anfang dieser Woche verteilten Mitglieder und Sympathisanten der Treptower Antifa Gruppe (TAG) Flugblätter an die Anwohner, um über diese Entwicklung aufzuklären. Sie schreiben, daß sie »es unerträglich finden, daß in Treptow Gegenden existieren, in denen nicht-rechte und nicht-deutsche Menschen um ihre Gesundheit fürchten müssen.« Der TAG geht es darum, die Treffpunkte der Neonazis nicht einfach zu akzeptieren.

Montag, 27. November 2000

NPD kam nicht durch

Tausende Antifaschisten erzwangen Abbruch des Neonaziaufmarsches in Berlin. 

Ralf Fischer / Junge Welt

Trotz eines Großaufgebotes von über 4 000 Polizei- und BGS- Beamten aus mehreren Bundesländern konnte die NPD ihren Marsch vom Berliner Ostbahnhof zur Friedrichstraße nicht wie geplant durchführen. Die 1 200 NPD-Anhänger wollten mit dem Marsch gegen ein mögliches Verbot der Partei protestieren.

Immer wieder stellten sich Antifaschisten dem Marsch in den Weg, die zunächst von der Polizei, die die Neonazis eskortierte, abgedrängt werden konnten. An einer zur gleichen Zeit stattfindenden Gegenkundgebung der Initiative »Europa ohne Rassismus« vor dem Roten Rathaus nahmen mehrere tausend Menschen teil. Als Redner traten Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Bundesfamilienministerin Christine Bergmann, mehrere Landespolitiker sowie der Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, auf. Thierse forderte die Berliner auf, ihre Stadt gegen den »rechten Mob« zu schützen und keine NPD-Aufmärsche zu dulden. In seiner Rede kritisierte er auch erneut den von den Unionsparteien im Zusammenhang mit der Debatte über Einwanderung nach Deutschland gebrauchten Begriff »Leitkultur«. Dem schloß sich auch Nachama an. Der Begriff Leitkultur sei nicht mit dem Grundgesetz und der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik vereinbar. Die CDU hatte als einzige der großen Berliner Parteien die Teilnahme an der Kundgebung abgelehnt.

Viele Teilnehmer der Kundgebung am Roten Rathaus und einer weiteren antifaschistischen Versammlung an der Neuen Wache zogen zum Alexanderplatz, um den Neonaziaufmarsch endgültig zu stoppen. Der Polizei gelang es nicht, diese Blockade aufzulösen. Auch auf der geplanten Ausweichroute durch die Grunerstraße kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Antifaschisten und der Polizei, die auch mit Schlagstöcken und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vorging. Doch abermals gelang es nicht, die Blockade aufzulösen.

Daraufhin beschloß die Polizei, die NPD-Demonstration aufzulösen, da »die Sicherheit der Teilnehmer nicht mehr garantiert« werden könne, wie ein Polizeisprecher erklärte. Die NPD-Anhänger wurden von Polizei und BGS zum S- Bahnhof Alexanderplatz eskortiert und in bereitgestellten Sonderzügen zu ihren Sammelpunkten nach Buch und Schöneberg gebracht. Einige NPD-Anhänger leisteten gegen die Auflösung der Demonstration Widerstand und wurden vorläufig festgenommen.

Am Abend versammelten sich rund tausend Antifaschisten am U-Bahnhof Samariterstraße, um an der alljährlichen Gedenkdemonstration für den 1992 von Neonazis ermordeten Silvio Meier teilzunehmen. Kurz nachdem einige Demonstranten den rechten Szeneladen »Utgard« angegriffen und dabei die Reklameschilder zerstört hatten, griff die Polizei mit Schlagstöcken ein und nahm einzelne Personen fest. Ein Sprecher der Demonstrationsveranstalter erklärte gegenüber jW, daß »diese Prügelorgie eine Frustreaktion der Berliner Polizei« auf die »am Vormittag erlittene Niederlage« gewesen sei.

Montag, 20. November 2000

Gedenken an ermordeten Antifaschisten

Alljährliche Silvio-Meier-Demonstration am 25. November in Berlin

Ralf Fischer / Junge Welt

Zum Jahrestags der Ermordung des Hausbesetzers und Antifaschisten Silvio Meier am 21. November 1992 in Berlin finden auch in diesem Jahr wieder Gedenkveranstaltungen statt. Für den 21. November plant das Silvio-Meier- Vorbereitungsbündnis von 15 bis 19 Uhr eine Mahnwache am U-Bahnhof Samariterstraße. Hier wurde Silvio Meier damals von rechtsexremen Jugendlichen angegriffen und ermordet.

Unter dem Motto »Smash Fascism! Fight Racism! - Für eine antifaschistische revolutionäre Jugendbewegung« wird am 25. November um 15 Uhr am U-Bahnhof Samariterstraße eine Demonstration beginnen und durch Berlin-Lichtenberg führen. Dieser Stadtbezirk ist seit Jahren als Hochburg von Neonazis bekannt. Bereits 1989/ 1990 waren in Lichtenberg erste Nazi-Strukturen entstanden.

Heute wohnt der Berliner NPD-Vorsitzende Georg Magnus in Lichtenberg. Als Treffpunkt für Neonazis dient vor allem der Tattoo-Shop »Utgard« in der Fanningerstraße, für den im Blood & Honour-Magazin Werbung gemacht wurde und der von Frank Lutz betrieben wird. Lutz ist Gründungsaktivist der Ostberliner Naziszene, war am Aufbau der »Nationalen Alternative« und des ehemaligen Nazizentrums in der Weitlingstraße beteiligt.

Thematisch soll während der Demonstration am kommenden Sonnabend die Verbindung zwischen dem täglichen Naziterror und dem staatlichen Rassismus entlarvt werden. Deshalb endet die Demonstration am Bundesgrenzschutz-Stützpunkt des Bahnhofs Lichtenberg. Gerade der BGS ist durch seine Aufgabe, Flüchtlinge daran zu hindern, nach Deutschland zu kommen, ein wichtiges Instrument des staatlichen Rassismus.

Mittwoch, 8. November 2000

Gedenken an Opfer der Reichspogromnacht

Berliner Antifagruppen erinnern an den 9. November 1938

Ralf Fischer / Junge Welt

Auch in diesem Jahr ruft die Antifaschistische Initiative Moabit (AIM) zu einer Gedenkkundgebung am 9. November am Mahnmal in der Berliner Levetzowstraße auf. Nach der Kundgebung beginnt eine Demonstration, die sich an der Route orientiert, auf der die Berliner Juden vom Sammellager in der Synagoge zum Güterbahnhof an der Putlitzbrücke getrieben wurden.

Der 9. November 1938 war der Tag, an dem Nazideutschland und ein großer Teil der Bevölkerung auf mörderische Art und Weise den hier lebenden Juden zeigten, daß sie endgültig nicht mehr zur deutschen Gesellschaft gehörten. Im ganzen Land zündete der faschistische Mob, an der Spitze die SA, die Synagogen an, zerstörte und plünderte jüdische Geschäfte, Betriebe und Wohnungen, verprügelte, vergewaltigte und tötete Juden und verschleppte Tausende in die Konzentrationslager. Der Schritt von der totalen Ausgrenzung, Entrechtung und Beraubung der Juden hin zum Holocaust, der Vernichtung der europäischen Juden, war getan.

1933 lebten in Berlin-Tiergarten 12 286 Juden, mehr als in den meisten anderen Berliner Bezirken. Hier gab es über 16 jüdische Einrichtungen: Schulen, Bethäuser und ein Wohnheim, außerdem eine der größten Berliner Synagogen in der Levetzowstraße. Nachdem die jüdische Gemeinde gezwungen worden war, ein Sammellager für über tausend Juden in der Synagoge einzurichten, begannen am 18. Oktober 1941 die Deportationen in die Konzentrationslager und Ghettos. Wurden die Opfer anfangs noch auf Lastwagen zum Deportationsbahnhof Putlitzstraße, dem größten Berlins, verfrachtet, mußten sie ab 1943 diesen Weg zu Fuß zurücklegen. Sie wurden von der SS am hellichten Tag durch Moabit getrieben - bis zu einem Nebengleis des Güterbahnhofs, auf dem die Deportationszüge warteten. Nach Ende des Hitlerfaschismus lebten in Tiergarten nur noch 185 Juden.

62 Jahre nach der Reichspogromnacht und zehn Jahre nach der Vereinigung häufen sich in alarmierender Weise Anschläge auf Synagogen wie in Erfurt, Düsseldorf und Berlin-Kreuzberg sowie Schändungen von jüdischen Friedhöfen und Gewalttaten gegen fremd oder anders Aussehende und Obdachlose. In ihrem Aufruf zur Demonstration konstatiert die AIM: »Eine gesellschaftliche Mehrheit, die sich entschieden gegen diese Entwicklung stellt, gibt es zur Zeit nicht.«

Samstag, 4. November 2000

Brief gegen einen Nazikader

Berliner wollen im Prenzlauer Berg keinen Neofaschisten als Nachbarn

Ralf Fischer / Junge Welt

»Wir sind mehrere Mieter der Isländischen Straße, die Sie in diesem Brief darüber informieren wollen, daß in unserer direkten Nachbarschaft (Isländische Straße 7) einer der bekanntesten und gefährlichsten Nazikader Berlins wohnt.« So beginnt ein Flugblatt, das am Mittwoch in Teilen des Berliner Stadtbezirks Prenzlauer Berg in den Briefkästen lag.

Der Text gilt dem als Drahtzieher der »Freien Kameradschaften« bekannten Oliver Schweigert. Der 1968 geborene gelernte Maschinenschlosser macht seit Jahren als Anti-Antifa-Aktivist von sich reden.Im Oktober 1999 durchsuchte der Staats- und Verfassungsschutz seine Wohnung in Berlin, wobei eine »schwarze Liste« mit über 60 Namen und Adressen, teilweise auch Fotos, von politischen Gegnern gefunden wurde. In diesem Jahr meldete er den »Rudolf-Heß-Gedenkmarsch« an, der jedoch vom Verwaltungsgericht verboten wurde. Schweigerts Frau, Stella Palau, ist stellvertretende Vorsitzende der Berliner NPD und führendes Mitglied des »Skingirl-Freundeskreis Deutschland« (SFD). Auf ihren Namen und die Adresse in der Isländischen Straße ist die Internetseite des SFD angemeldet.

In ihrem Brief rufen die Verfasser ihre Nachbarn auf, sich gegen Rechtsextremismus zur Wehr zu setzen, Neonazis spüren zu lassen, daß sie nicht erwünscht sind, und Opfern rechter Angriffe zu helfen. Das Berliner »Antifaschistische Aktionsbündnis III« (A3) veröffentlichte das Flugblatt am Freitag vormittag. In seiner Pressemitteilung bestätigt es die Richtigkeit der Informationen und verweist auf zahlreiche Aktionen der extremen Rechten im Nordosten Berlins. Das Bündnis solidarisiert sich mit der Aktion und ruft zu mehr Eigeninitiativen dieser Art auf.

Mittwoch, 18. Oktober 2000

Aufmärsche angekündigt

Neonazis mobilisieren für den 4. November nach Berlin und Dessau. Berlins Innensenator sieht wenig Chancen für Verbot

Ralf Fischer / Junge Welt

Die »Kameradschaft Germania« will am 4. November vom S- Bahnhof Friedrichstraße durch Berlins Mitte bis zum Roten Rathaus marschieren. Auf den Internetseiten der Berliner »Kameradschaft« wird seit zwei Wochen für den Aufmarsch mobilisiert. Auch auf den Internetseiten des »Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland« um den Hamburger Neonazi Christian Worch wird für die Teilnahme geworben. Angemeldet wurde der erneute Aufmarsch von dem ehemaligen Kader der verbotenen Nationalistischen Front und Vorsitzenden der Jungen Nationaldemokraten Sachsen- Anhalt, Steffen Hupka.
Die Ankündigung der Demonstration ist ein weiterer Hinweis auf den Konflikt zwischen den »Freien Kameradschaften« und der NPD. Innerhalb der Partei soll schon ein parteiinternes Verfahren gegen Steffen Hupka eingeleitet worden sein. Der Vorstand befürchtet offenbar, den Behörden durch weitere Demonstrationen noch mehr Argumente für ein Verbot der NPD zu liefern.

Hupka hat inzwischen eine »revolutionäre Plattform« in der NPD gegründet. Diese will mit Gruppen wie der neonazistischen »Kameradschaft Germania« den Kampf um die Straßen fortsetzen. Obwohl das Motto »Für Versammlungs- und Meinungsfreiheit - gegen Verbote« eine Unterstützung für die Partei suggeriert, wird die Demonstration offiziell nicht von der NPD unterstützt.

Berlins Innensenator Werthebach (CDU) erklärte nach Bekanntwerden der Anmeldung, »daß das geltende Versammlungsrecht, so wie es die Verwaltungsgerichte auslegen, kaum Möglichkeiten geben wird, die Veranstaltung zu verbieten«.

Auch in Sachsen-Anhalt will die Kameradschaftsszene wieder die »Straße zurückerobern«. Für den 28. Oktober ist in Köthen ein Infostand der »Bürgerinitiative gegen Drogen« angemeldet. Diese Tarnorganisation der Köthener Neonazi- Szene hatte schon im Mai dieses Jahres eine Demonstration organisiert. Damals sprachen Hupka und Worch vor über 300 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet im Stadtteil Rüsternbreite. Die gleiche »Bürgerinitiative« hat für den 4. November in Dessau einen Aufmarsch angemeldet. Makaber ist die Zielrichtung des Aufmarsches »gegen Drogen«. Vor vier Monaten starb der Afrikaner Alberto Adriano an den Verletzungen durch einen Überfall von drei Neonazis im Dessauer Stadtpark.

Montag, 16. Oktober 2000

Überwachungsgegner überwacht

In Leipzig protestierten mehrere tausend Autonome gegen Schnüffelstaat

Ralf Fischer / Junge Welt

Am Samstag nachmittag versammelten sich in Leipzig über 2 000 Autonome auf dem Augustusplatz, um gegen die wachsende Überwachung von öffentlichen und privaten Räumen zu protestieren. Schon vor Beginn der Demonstration zeigten die aus Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen zusammengezogenen Polizeieinheiten, was sie von der Protestaktion hielten. Willkürlich wurden schon am Bahnhof über 30 Demonstranten ohne Angabe von Gründen festgenommen. Die Demonstration selber wurde begleitet von Hubschraubern, überwacht von mobilen Videokameras und umzingelt von einem Spalier der Bereitschaftspolizei.

Das Leipziger Verwaltungsgericht hatte am 12. Oktober die Demonstration »Save the Resistance - gegen Überwachungsgesellschaft und Sicherheitswahn« genehmigt und damit auch die Route durch die Innenstadt. Im Urteil heißt es dazu: »Das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen von Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewußten Bürgers.« Dies gelte »auch und vor allem« für »andersdenkende Minderheiten«. Ebenfalls erteilte das Verwaltungsgericht der pauschalen Kriminalisierung von Gruppen, wie der Antifaschistischen Aktion Berlin oder der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation, eine Absage. Deren Teilnahme sei nicht geeignet, eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu begründen.

In den Redebeiträgen während der Protestaktion wurde auf die wachsende Überwachung der Innenstädte, die Privatisierung öffentlicher Räume, die Einschränkung politischer Handlungsmöglichkeiten und die Repression gegen Minderheiten aufmerksam gemacht. Gerade der Versuch der Stadt Leipzig, diese Demonstration zu verbieten, zeige deutlich die Entwicklung zu einer Überwachungsgesellschaft, wurde hervorgehoben. Extra für die Demonstration wurden zehn weitere Videokameras in der Innenstadt installiert.

Als die Demonstration im Zentrum der Stadt ankam, griff die Polizei den Block der autonomen Antifa wegen Tragens von Seitentransparenten und angeblicher Vermummung an. Dabei wurden einige Protestierende leicht verletzt, doch die Demonstration konnte weitergehen - mit den Seitentransparenten.

Die Organisatoren, »Bündnis gegen Rechts« und »Antifaschistischer Frauenblock Leipzig«, werten die hohe Beteiligung an der Demonstration als Erfolg.

Montag, 18. September 2000

Prügel für die Antifa

Berlin: Gedenkdemonstration für ermordeten Arbeitslosen von Polizei angegriffen

Ralf Fischer / Junge Welt

Trotz des schlechten Wetters versammelten sich am Samstag mehr als 300 Menschen am S-Bahnhof Berlin-Karow, um des Ende Mai von Nazis ermordeten Arbeitslosen Dieter Eich zu gedenken. Der Demonstrationszug der meist Jugendlichen wurde von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet. Die berüchtigte Berliner Hundertschaft 23 war für die Gedenkdemonstration zuständig.

Anfangs hielt sich die Polizei zurück, und die Demonstranten liefen friedlich durch Karow. Einige wenige Anwohner schauten dem in dieser Gegend seltenen Ereignis zu. In den Redebeiträgen aus dem Lautsprecherwagen wurde immer wieder betont, daß der Mord an Dieter Eich nicht vergessen werden darf. Die Sprecher und Sprecherinnen nahmen Bezug auf die absichtliche Vertuschung des Vorgangs durch Polizei und Justiz. »Politik, die Zivilcourage von der Zivilgesellschaft einfordert, sollte dies gerade in den Reihen der Polizei, Justiz und Verwaltung durchsetzen«, so ein Sprecher des Antifaschistischen Aktionsbündnis III.

Etwa nach der Hälfte der Demonstrationsstrecke gingen Polizisten erstmals gewaltsam gegen Demonstranten vor. Ein mit Sonnenbrille und Basecap »bewaffneter« Jugendlicher hatte die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich gelenkt. Um den »Vermummten« zu stellen, prügelten sich die Polizeibeamten durch die Demonstration. Diese versuchte sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu wehren. Bei dieser Auseinandersetzung soll ein Demonstrant mit einer Fahnenstange einen Polizisten auf den Kopf geschlagen haben. Daraufhin prügelte sich die Polizei Minuten später wieder in den Demozug. Mit der Begründung, diesen Demonstranten zu suchen, schlugen sie wild um sich und verletzten mehrere Personen. Nach einer zweiten Festnahme durfte die Demonstration nach Buch fortgesetzt werden.

In der Plattenbausiedlung, in der Dieter Eich ermordet worden war, schlossen sich einige Jugendliche der Demo an. Andere, die der rechten Szene zuzuordnen waren, versuchten mit Gesten und Rufen, die Antifaschisten zu provozieren. Am Haus in der Walter-Friedrich-Straße 52, in dem Dieter Eich ermordet worden war, legte die Demonstration eine Schweigeminute ein. Von den Trauernden wurden Blumen niedergelegt und Kerzen aufgestellt. Auf den letzten Metern hielt die Bezirksbürgermeisterin von Pankow, Gisela Grunwald (PDS), eine Rede. Sie drückte ihre Trauer über den Mord aus und rief zum Handeln gegen den Naziterror auf.

Donnerstag, 7. September 2000

Rechtsextremes Tatmotiv vertuscht

Neonazis ermordeten in Berlin-Pankow Arbeitslosen, Polizei sprach von Raubmord

Ralf Fischer / Junge Welt

Am Abend des 25. Mai wurde der 60jährige Dieter E. in Berlin-Pankow in der Wohnung seiner Lebensgefährtin zusammengeschlagen und ermordet. Dieter E. war arbeitslos und lebte von Sozialhilfe. Die vier Täter, so bestätigte auch die Staatsanwaltschaft, gehören zum rechtsextremen »Kameradschafts-«spektrum. Die 17- bis 21jährigen Neonazis sollen sich, bevor sie bei Dieter E. eindrangen, in einer Wohnung im gleichen Haus aufgehalten haben. Dort sollen sie, so berichtet der ermittelnde Staatsanwalt Sascha Daue, »rechte Sprüche geklopft und gesoffen« haben. Mit der Absicht, »Assis zu klatschen«, verschafften sich die Neonazis Zutritt in die Wohnung und schlugen auf Dieter E. ein. Der 18jährigen René R ermordete den Arbeitslosen dann mit dem Jagdmesser seines Vaters durch einen Stich ins Herz.

Die Polizei war wegen der lauten Musik und »Sieg Heil«- Rufen von Nachbarn alarmiert worden. Doch am nächsten Tag wurde in der Pressemitteilung der Polizei aus dem Neonazimord ein Raubmord. Obwohl die Neoazis zwei Tage später festgenommen wurden und aus ihrer Gesinnung keinen Hehl machten, wurde das politische Tatmotiv von den Behörden verschwiegen. Erst nachdem vor einer Woche die »Berliner Zeitung« darüber berichtete, bestätigte Staatsanwalt Daue den Sachverhalt. »Die Staatsanwaltschaft ist nicht so schnell dabei mit Presseerklärungen. Ich bitte um Verständnis«, sagte er.

Das Antifaschistische Aktionsbündnis III [A3] will mit einer Demonstration am 16. September und mit Öffentlichkeitsarbeit verhindern, daß der Mord an Dieter E. entpolitisiert wird. In seiner Presseerklärung wirft das A3 Polizei und Justiz absichtliche Vertuschung des Tatmotivs vor. Auch wie jetzt von den Medien auf den Mord reagiert wird, sei unbefriedigend. Nachdem das Sommerloch vorbei ist, interessierten sich kaum noch Medien für diesen Mord. Noch vor drei Wochen sei jede kleinste Aktion der Neonazis aufmerksam registriert worden. Heute sei ein von Neonazis Ermordeter schon wieder uninteressant.

Montag, 28. August 2000

Ist der Nichtraucherbund antisemitisch?

jW fragte Martina Kayser, Sprecherin des Berliner Antifaschistischen Aktionsbündnis III

Ralf Fischer / Junge Welt

RF: Der Vorsitzende des Berliner Nichtraucherbundes e.V., Werner Rottschky, hat mit seiner Forderung, Josef Garbáty jegliche öffentliche Würdigung abzusprechen, eine Welle der Entrüstung ausgelöst. Der Zigarettenfabrikant Garbáty war von den Nationalsozialisten wegen seines jüdischen Glaubens 1938 des Eigentums beraubt und 1939 ins Exil getriebenen worden. Wie bewerten Sie das Verhalten des Nichtraucherbundes?

MK: Die Forderung dieses Vereins ist ein großer Skandal. Nicht zuletzt ist die Absicht des Vereins von Antisemitismus geprägt. Während die Opfer des Nationalsozialismus dadurch verhöhnt werden, kommt es zur Beschönigung von Verbrechen der Faschisten. Die Tätigkeit Josef Garbátys als Besitzer einer berühmten Pankower Zigarettenfabrik kann das Verbrechen der Nazis an ihm und seiner Familie nicht relativieren.

Wie bewerten Sie die Begründung des Vereins, man setze damit einen »Affront gegen Nichtraucher«?

Es ist eine absolut fadenscheinige und auch vorgeschobene Begründung, die eigentlichen Gründe stecken viel tiefer. Der Nichtraucherbund handelt blind und stellt seine Probleme mit der Person Josef Garbátys auf eine völlig falsche und auch fatale Ebene. Josef Garbáty zudem in die Ecke eines profitsüchtigen, kalten Unternehmers zu stellen ist skandalös. Es ist bekannt, daß er soziale Projekte wie Arbeitsloseninitiativen unterstützte.

Nun gibt es in Pankow nicht das erste Mal Proteste gegen die öffentliche Würdigung Josef Garbátys.

Die Bezirksverordnetenversammlung hatte im September letzten Jahres den Beschluß gefaßt, die Berliner Straße in Pankow in Josef-Garbáty-Straße umzubenennen. Die Berliner Straße ist im Bezirk Pankow eine der größten Einkaufsstraßen. Als dieser Beschluß bekannt wurde, gründete sich prompt eine Ladeninitiative gegen die Umbenennung der Straße. Mit Berufung auf die Tradition und zu hohen Kosten stemmte man sich aktiv gegen die Umbenennung. Eine interessante Begründung, schien es doch nie Kostenprobleme bei Umbenennungen von Straßen gegeben zu haben, die nach Kommunisten und Widerstandkämpfern benannt waren. Als Kompromißlösung bot die Ladeninitiative an, eine von den Straßen Pankows nach Josef Garbáty zu benennen, die nur eine Ziffer als Bezeichnung besitzen. Die Initiative startete gegen die Neubenennung der Berliner Straße eine Unterschriftenkampagne, die schließlich mehrere tausend Befürworter fand. Als Vorsitzender dieser Initiative agierte ein Friseur aus der Berliner Straße, der mehrfach durch rechtsextreme Äußerungen auffiel. Insgesamt hatte die Initiative Erfolg. Die Bezirksverordnetenversammlung widerrief schließlich den Beschluß.

Wie verhielt sich die PDS?

Ein besonderes Licht fiel auf Delia Hinz (PDS), die sich im letzten Jahr um ein Abgeordnetenhausmandat bewarb. Ihr Wahlkreis umfaßt unter anderem die Berliner Straße. Nachdem sie merkte, daß sich Widerstand gegen eine Neubenennung regte, bekam sie kalte Füße und war plötzlich ebenfalls dagegen. Positiv hervorzuheben ist jedoch, daß sich von den Pankower Basisorganisationen (BO) der PDS bis zuletzt fast alle klar mehrheitlich für die Umbenennung aussprachen. Mit Ausnahme der BO in der Berliner Straße.

Wie wird das Antifaschistische Aktionsbündnis III jetzt reagieren?

Wir wollen die öffentliche Diskussion um die Würdigung Garbátys vorantreiben und verhindern, daß sich die Bezirksverordnetenversammlung als Reaktion auf den Vorstoß des Nichtraucherbundes erneut dagegen ausspricht. Im Januar 2001 werden wir erneut eine Antifaschistische Aktionswoche veranstalten, um auch das Thema Republikaner und deren Bundeszentrale in Pankow wieder in das Interesse der Öffentlichkeit zu rücken. Widerstand ist also weiterhin notwendig.

NPD konnte unbehelligt durch Halle ziehen

2 000 Polizisten schützten von Gerichten genehmigte Demonstration der Neonazis

Ralf Fischer / Junge Welt

Ein versprengtes Häuflein Neonazis marschierte am Samstag mittag durch die Innenstadt von Halle. Während in Jena eine Demonstration der rechtsextremen »Interessengemeinschaft gegen Polizei- und Staatswillkür« in letzter Instanz verboten wurde, genehmigte das Oberverwaltungsgericht Halle die von Steffen Hupka, NPD-Chef in Sachsen-Anhalt, angemeldete Demonstration. Gut 50 Anhänger der NPD zogen unter dem Motto »Argumente statt Verbote - gegen das drohende Parteiverbot der NPD« durch die Straßen Halles. Zum Schutz der Neonazis wurden 2 000 Polizisten aus mehreren Bundesländern eingesetzt. Halles Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler zeigte kein Verständnis für die Gerichtsentscheidung. Für sie sei es jedoch beruhigend, daß statt der erwarteten 500 deutlich weniger Demonstranten durch Halle gezogen seien.

Zu Gegenaktivitäten hatten die PDS, der DGB sowie der StudentInnerat der Martin-Luther-Universität (MLU) aufgerufen. Über 400 Menschen versammelten sich am Vormittag, um gegen das Auftreten der Rechtsextremen zu demonstrieren. Mehrere Versuche der Antifaschistinnen und Antifaschisten, den Demonstrationszug der Neonazis zu stoppen oder zu blockieren, wurden von der Polizei gewaltsam unterbunden. Unter Polizeischutz wurde am frühen Nachmittag die Versammlung der NPD-Anhänger aufgelöst.

Die AG Antifaschismus-Antirassismus im StudentInnenrat der Martin-Luther-Universität kritisiert aufs schärfste das Vorgehen der Stadt, von Parteien und der Polizei im Vorfeld des Naziaufmarsches. Obwohl die Nazipläne bekannt waren, hatte man versucht, das Thema totzuschweigen. Nur durch die Arbeit antifaschistischer Gruppen in der Region wurde das Vorhaben der Nazis öffentlich gemacht. Wegen dieser offensichtlichen Ignoranz fordern aktive Antifas, Konsequenzen für die politisch Verantwortlichen.

 Auch in Berlin-Moabit wurde am Samstag demonstiert: Hier richtete sich der Protest gegen das Markthallenrestaurant in der Arminiusstraße. Nachdem dort mehrmals die NPD ihre Veranstaltungen ungestört ausrichten konnte, will nun die Antifaschistische Initiative Moabit diesem Treiben ein Ende machen. Über 60 Antifas versammelten sich am Vormittag vor der Markthalle. Mit Redebeiträgen und Flugblättern wurde versucht, auch Bürger über das braune Treiben im Restaurant zu informieren. »Nur durch öffentliche Aktionen dieser Art kann mehr Druck auf den Besitzer der Markthalle ausgeübt werden«, so ein Sprecher der Antifaschistischen Initiative Moabit gegenüber jW.

Donnerstag, 17. August 2000

»Blood & Honour« in Halle

Sympathisanten und Geld für Neonazis durch Musik. Antifaschisten organisieren Widerstand

Ralf Fischer / Junge Welt

Eine zunehmende Rolle im Bereich des Rechtsextremismus spielt die Musik. Eine Reihe von neofaschistischen Organisationen wie »Blood & Honour« haben sich auf den Vertrieb von Tonträgern und die Organisierung von Konzerten spezialisiert. In Verfassungsschutzkreisen wird damit gerechnet, daß in der Bundesrepublik derzeit mindestens 100 neofaschistische Bands existieren. Die Musik dient als Transportmittel für die rassistische und faschistische Ideologie und als Rekrutierungsfeld für junge Sympathisanten. Der Verkaufserfolg beschränkt sich längst nicht mehr auf »Nazi- Skin-Musik«. Auch in den Bereichen Black Metal und Dark Wave hat sich Musik mit faschistischen Texten etabliert. Die Musikszene dient allerdings nicht nur als Rekrutierungsfeld, sondern auch zur Finanzierung ihrer Aktivitäten. Herstellung und Verkauf von Tonträgern und Zubehör ist zu einem Millionengeschäft geworden.

In Sachsen-Anhalt kommt der Verfassungsschutz zu dem Schluß, daß die »Blood & Honour«-Sektion in ihrem Bundesland »mit circa 40 Mitgliedern zu den wichtigeren >B&H<-Sektionen in Deutschland« gehört. 1999 fand in Sachsen-Anhalt, in Garitz, mit 2 000 Besuchern eines der größten Nazikonzerte der letzten Jahre statt. Einer der treibenden Kräfte in Sachsen-Anhalt ist Sven Liebich. Er trug mit dazu bei, daß es zu einer Neueröffnung des Neonaziladens »The Last Resort« in Halle kam. Mittlerweile hat sich der Laden zur Schnittstelle für die rechtsextreme Szene von Halle und Umgebung entwickelt.

Offizielle Betreiberin des Ladens ist Sandra Liebich, die Schwester von Sven Liebich. Antifaschisten aus Halle gehen davon aus, daß er sich aktiv am Aufbau des Ladens beteiligt. In Leipzig betreibt er zusammen mit anderen »Kameraden« zudem den Laden »Midgard«. Bei den Ermittlungsbehörden ist Sven Liebich kein unbeschriebenes Blatt: Bis 1999 war er Betreiber des »Ultima Tonträger Vertriebes«. Am 3. November 1998 waren »Ultima TV«, sowie sechs andere Objekte in Halle, im Saalkreis, in Leipzig und in Bamberg Ziel einer polizeilichen Razzia, bei der 2 700 CDs, 100 Videos, Hakenkreuzfahnen und eine Siebdruckmaschine beschlagnahmt wurden. In Kürze steht der Prozeß gegen die Organisatoren des Naziversandes an.

Nach Informationen von Antifaschistinnen und Antifaschisten aus Halle wird auch die rechtsextreme Zeitung Nationaler Beobachter über den Laden in Halle vertrieben. Die Zeitschrift hatte über im Internet verbreitete Gewaltaufrufe gegen Linke für Aufsehen gesorgt und ist nach Selbstdefinition das Sprachorgan des »Nationalen Widerstandes Halle«. Langsam beginnt sich der Widerstand gegen diesen Vernetzungspunkt der Neonaziszene zu organisieren.

Montag, 14. August 2000

Sturm im Wasserglas

Politik ließ sich mit Verbot des »Hamburger Sturm« viel Zeit

Ralf Fischer / Junge Welt

Die Hamburger Innenbehörde hat am Freitag vormittag vier Mitgliedern der neonazistischen Organisation »Hamburger Sturm« die Verbotsverfügung zugestellt. Der »Hamburger Sturm« ist seit Jahren einer der Organisatoren des sogenannten »Nationalen Widerstandes« und des bundesweiten Netzwerkes der faschistischen Kameradschaften. Wie bei anderen Kameradschaften handelt es sich hier um einen Zusammenschluß ohne Eintrag im Vereinsregister, Mitgliedsausweise oder Vereinslokal. So wollen sich die Kameradschaften nach Einschätzung von Experten der Überwachung durch Polizei und Verfassungsschutz entziehen.

Über das Aktionsbündnis Norddeutschland forcierten die Hamburger Aktivisten den Aufbau rechter Strukturen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg- Vorpommern. Auch beim Aufbau des »Bündnis für Rechts in Lübeck« halfen sie mit. Zum »Hamburger Sturm« rechnen die Behörden etwa 20 Mitglieder um Anführer Torben Klebe. Thomas Wulff, einer der bekanntesten Akteure der Kameradschaftsszene, war genauso im Hamburger Sturm organisiert wie der inoffizielle Nachfolger Michael Kühnens, Christian Worch.

Parallel zur Übergabe der Verbotsverfügung wurden die Wohnungen der vier Männer in Hamburg durchsucht. Dabei stießen die Ermittlungsbeamten auf umfangreiches Propagandamaterial, auch Plakate und Aufkleber für die diesjährige Rudolf-Heß-Kampagne wurden gefunden. Das mit sofortiger Wirkung geltende Verbot der Organisation begründet der Hamburger Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) unter anderem mit einem vor über einem Jahr in der gleichnamigen Zeitung des »Hamburger Sturms« veröffentlichten Interview mit Mitgliedern der »National- Revolutionären Zellen«. In diesem wird zum »Krieg gegen das System« aufgerufen. Als im Mai 1999 die »National- Revolutionären Zellen« mit diesem Interview an die Öffentlichkeit traten, sahen die Behörden keinen Anlaß zum Handeln. Auch nach dem Versuch einiger Personen aus dem Umfeld der »National-Revolutionären Zellen«, im September letzten Jahres einen linken Treffpunkt in Berlin-Prenzlauer Berg mit Brandbomben anzugreifen, blieben die Behörden in Berlin und Hamburg untätig.

Wie Wrocklage sehen sich viele Politiker von CDU bis zu den Grünen offensichtlich erst durch die Sommerlochdebatte zum Handeln genötigt. Dabei beschränken sich CDU/CSU- Politiker allerdings auf die Forderung des Verbots rechter Organisationen, rot-grüne Menschenrechtsrethoriker rufen derweil wieder und wieder zu Zivilcourage auf. In den Reihen der Regierungsparteien wächst die Zustimmung zum Verbot der NPD und anderer rechter Parteien. Doch nur wenige Intellektuelle mischen sich in die Debatte ein. Immerhin betonte Jürgen Habermas letzte Woche in einem Interview, daß ein NPD-Verbot »ein auf das Sicherheitsbedürfnis der Bürger abzielender autoritärer Reflex« wäre. Das ist auch die Stoßrichtung der meisten Verbotsbefürworter: NPD verbieten und Schluß mit der Debatte über Rechtsextremismus und seine Ursachen. Sie befürchten, daß in einer Diskussion über Ursachen auch staatlicher Rassismus und rassistische Gedanken und Handlungen vieler Politiker der »neuen Mitte« zum Thema werden könnten.

Eine Analyse der Wurzeln von Gewalt und Ausländerfeindlichkeit aber ist notwendig. In einer Studie der Freien Universität Berlin wurde festgestellt, daß zwölf Prozent der Berliner und 21 Prozent der Brandenburger rechtsextrem eingestellt sind. Zwischen dem Ost- und Westteil Berlins verzeichneten die Forscher kaum Unterschiede. Doch das Interessanteste an der Studie ist, daß 17 Prozent der Menschen mit rechtsextremistischer Einstellung CDU und 31 Prozent SPD wählen würden. Auch die PDS bekommt noch 9,5 Prozent dieser Wählerstimmen. Tatsachen, die mit einem NPD-Verbot nicht vom Tisch zu wischen sind.

Freitag, 4. August 2000

Weiter keine heiße Spur

PDS unterstützt Aufruf zur Demonstration in Düsseldorf am Sonnabend

Ralf Fischer / Junge Welt

Dem Aufruf des Antifa-Koordinationskreises Düsseldorf für eine Großdemonstration am Sonnabend haben sich am Donnerstag auch prominente PDS-Politiker wie Lothar Bisky, André Brie und Diether Dehm angeschlossen. In dem Aufruf heißt es unter anderem: »Am 27. Juli explodierte am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn eine Handgranate. Die zehn Verletzten sind durchweg Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, sechs davon jüdischen Glaubens.«

Ein neonazistischer Hintergrund drängt sich angesichts des Tathergangs auf. Die neonazistische Szene wurde in Düsseldorf jahrelang von Politik und Behörden verharmlost und sogar totgeschwiegen. Die Landeshauptstadt Düsseldorf versteht sich als weltoffene und tolerante Stadt, in der es nach Meinung von Politik und Polizei keine nennenswerten neonazistischen Umtriebe gäbe. Die Fakten sprechen eine andere Sprache. So betreibt beispielsweise die sogenannte »Kameradschaft Düsseldorf«, eine Nachfolgeorganisation der verbotenen terroristischen FAP, das »Nationale Infotelefon Rheinladen«, eine Kontakt- und Koordinationsstelle mit bundesweiter Bedeutung für die militante Neonazi-Szene. Ein führendes Mitglied der »Kameradschaft« bezeichnete Juden als »Deutschlands größte Feinde« und rief zu Jubelfeiern anläßlich des Todes des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, auf.

Verwoben ist die militante Neonaziszene auch in Düsseldorf mit der Rechtsrock-Szene, die in dem Plattenladen »Powerstation« ihren Treffpunkt hat. Die Täter, die am 3. Juli 2000 einen Griechen und einen Afghanen an einem S-Bahnhof angriffen und eines ihre Opfer auf die Gleise stießen, kamen gerade von einer Probe ihrer Band »Reichswehr«.

In vielen Stadtteilen agieren neonazistische Jugendcliquen, die nazistisches Propagandamaterial verbreiten. Auch im Düsseldorfer Rathaus sind Neonazis vertreten. So feierte der bei der letzten Kommunalwahl erfolgreiche Ratsherr Jürgen Krüger von den Republikanern seinen Einzug in das Stadtparlament lautstark mit seinen Freunden von der »Kameradschaft Düsseldorf«.

Der am Mittwoch abend von der Düsseldorfer Polizei vorläufig festgenommene 34jährige Militariahändler wurde nach einem achtstündigen Verhör am Donnerstag morgen wieder auf freien Fuß gesetzt. »Es war keine heiße Spur«, sagte der Düsseldorfer Staatsanwalt Johannes Mocken. Der ehemalige Bundeswehrsoldat betreibt in der Nähe des Tatorts ein Geschäft mit Militärartikeln, das unter Szenebeobachtern als ein Anlaufpunkt der Neonazis gilt.

Donnerstag, 13. Juli 2000

Same procedure as every year

Wieder ein Bundeswehrgelöbnis am 20. Juli in Berlin. Phantasievolle Proteste angekündigt

Ralf Fischer / Junge Welt

Auch in diesem Jahr will die Bundeswehr 200 Rekruten der 7. Kompanie des Wachbataillons des Bundesverteidigungsministeriums am Bendlerblock, dem ehemaligen Oberkommando der Wehrmacht und der heutige Dienststelle des Ministeriums, vereidigen. Gegen das Bundeswehr-Gelöbnis am 20. Juli wird es auch in diesem Jahr wieder massive Proteste geben. Ein Bündnis verschiedener antimilitaristischer Gruppen will mit einer Demonstration, einer Kundgebung und phantasievollen Störaktionen dafür sorgen, daß die Selbstdarstellung der Bundeswehr zur Peinlichkeit gerät.

Zum zweiten Mal nach 1999 wird der 20. Juli für diese Form der militärischen Identitätsstiftung vom »Kriegsministerium« instrumentalisiert. Gelöbnisse sind Rituale, bei denen Soldaten sich bereit erklären, zu töten und getötet zu werden. In seiner heutigen Form bezieht sich das Gelöbnis auf preußische und Nazi-Traditionen.

Die Traditionslinie der Bundeswehr wird auch durch die Ortswahl dokumentiert - der Bendlerblock war am 20. Juli 1944 Schauplatz eines Putschversuches. Mit der Wahl dieses Ortes will die Bundeswehr den Widerstand gegen Hitler auf seine militärische Komponente einschränken. Dabei beruft sie sich ausgerechnet auf Offiziere, die so lange das Nazisystem stützten, bis absehbar war, daß der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Ihr Ziel war ein autoritäres Regime, um zu retten, was noch zu retten war.

Nach wie vor ist in Berlin kein öffentliches Gelöbnis ohne Widerstand möglich. Die Militärs verschanzten sich schon 1999 hinter Hunderten von Polizisten und Feldjägern. Die absurde Zeremonie wird auch dieses Jahr wieder nichtöffentlich und hinter Gittern abgehalten. Die Zufahrtswege werden gesperrt, das ausgewählte und sicherheitsüberprüfte Publikum wird von der Julius-Leber- Kaserne mit Shuttle-Bussen zum Bendlerblock befördert. Die Armee hat Angst vor der Öffentlichkeit und vor Protesten. Die massiven Sicherheitsvorkehrungen dieses Jahr begründen die Militärs mit den aufsehenerregenden Protesten letztes Jahr. Einigen leichtbekleideten Antimilitaristinnen war es gelungen, auf den Vereidigungsplatz zu gelangen und dort ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Aufgespannt wurden Regenschirme mit der Parole »Tucholsky hat recht« und »Bundeswehr abschaffen«.

Die Proteste sollen trotz der Sicherheitsvorkehrungen hör- und sichtbar sein, versprechen die Organisatoren von »GelöbNIX4«. Das Gelöbnis soll diesmal um 18 Uhr beginnen, deshalb startet die Gegendemonstration erst um 16 Uhr. Der Treffpunkt in diesem Jahr ist die Bundesgeschäftsstelle der SPD, das Willy-Brandt-Haus. Damit soll auf die Rolle der SPD im Angriffskrieg der Nato gegen Jugoslawien hingewiesen werden. Protestiert wird gegen die erklärte Absicht der Bundesregierung, die Bundeswehr zu einer weltweit einsatzfähigen Kampftruppe umzubauen. Damit die Proteste wirksam über die Bühne gehen, wird die Europaabgeordnete Ilka Schröder (Grüne) am Freitag gegen 10.30 Uhr vor dem Bendlerblock in der Stauffenbergstraße Regenschirme, Fußballtröten und rote Farbe verteilen.

Dienstag, 11. Juli 2000

Aufmarschgebiet Dresden

Neonazis in Sachsen werden offensiver. Bündnis gegen Rechts gegründet

Ralf Fischer / Junge Welt

In diesem Jahr fanden in Dresden schon sechs Aufmärsche der extremen Rechten statt. Während die Verantwortlichen der Stadt nur wenig Aktivitäten gegen die zunehmende Neonazipräsenz entwickeln, organisiert sich mit der Gründung eines Bündnisses gegen rechts Widerstand. Anfang Juni hatte es aus dem Stadtrat eine schriftliche Anfrage an die Stadtverwaltung gegeben. »Wie wertet die Stadt die Tatsache, daß Dresden verstärkt zum Aufmarschgebiet für rechte Gruppierungen geworden ist?« lautete die Frage. Zwar gab es tatsächlich eine Antwort, zufriedenstellend war sie aber nicht: »Versammlungen werden durch den Anmelder/Organisator dort durchgeführt, wo er sich für seine Ziele den größten Erfolg verspricht. ... Es liegen auch keine statistischen Erhebungen anderer Großstädte vor, die eine herausgehobene Rolle der Stadt Dresden als Aufmarschgebiet rechter Gruppen belegen. Eine pauschale Wertung hinsichtlich der in einem bestimmten Zeitraum durchgeführten politischen Aktionen ist deshalb nicht möglich.«

Daß Sachsen, mit über 1200 Mitgliedern, seit Jahren die Hochburg der NPD ist, dürfte auch den Verantwortlichen der Stadt bekannt sein. Auch daß die Kameradschaftsszene in Sachsen als die bestorganisierteste gilt, ist spätestens nach der Razzia am 24. Juni gegen die neofaschistische Gruppierung »Skinheads Sächsische Schweiz« in Pirna und Umgebung bekannt. Auch die Deutsche Stimme, die Parteizeitung der NPD, fand Anfang diesen Jahres im sächsischen Riesa Unterschlupf, nachdem sie im bayerischen Sinning dem antifaschistischen Druck weichen mußte.

Die Kundgebungen der revanchistischen »Interessensgemeinschaft für die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands (IWG)« am 25.März, 29. April und am 24.Juni und die Aufmärsche von NPD und der »Jungen Landsmannschaft Ostpreußen« (JLO) am 13. Februar und am 1. und 8. Mai in Dresden bewegen die Stadtoberen nicht zum Handeln. Angeführt wird die neue Offensive auf der Straße von der NPD Sachsen. Nach der Austrittswelle von einem Teil der Mitglieder, dem die NPD nicht radikal genug war, will die Partei wieder Profil »zurückerkämpfen«. Ihr Vorsitzender Winfried Petzold verkündete unlängst, daß die sächsische NPD einen Kurswechsel vollziehen werde. Künftig will die NPD wieder auf das bewährte »Kampfmittel« Demonstration zurückgreifen, aus »wahltaktischen Gründen« habe die NPD vor der Landtagswahl auf Demonstrationen verzichtet, so Petzold in der Deutschen Stimme. Den markigen Worten folgen auch weitere Taten, für den 15. Juli bereitet der Kreisverband Dresden der NPD im Rahmen der sogenannten »Aktionswochen des nationalen Widerstandes Sachsen« eine Demonstration unter dem Motto »Gegen die Ausplünderung Deutschlands« in Dresden vor.

Gegen die Entwicklung in Dresden und den angekündigten Naziaufmarsch formiert sich ein »Dresdner Bündnis gegen Rechts«. Das von der Bürgerinitiative »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es« initiierte Bündnis wendet sich an alle Bürgerinnen und Bürger, Gewerkschaften, Parteien und Organisationen, um gemeinsam der neonazistischen Hetze und dem Anwachsen der immer bedrohlicheren Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten. Schon über 100 Menschen haben den Aufruf unterzeichnet, auch DGB, SPD und PDS wollen in diesem Bündnis mitwirken.

Montag, 3. Juli 2000

Naziauktion unter Polizeischutz

Protestbrief an Diepgen fand kein Gehör

Ralf Fischer / Junge Welt

BERLIN. Das »Berliner Auktionshaus für Geschichte« veranstaltete am Sonnabend zum 32. Mal eine Auktion von Militaria vom Kaiserreich bis in die heutige Zeit. Die meisten der über 7 000 Exponate stammen aus der Zeit von 1933 bis 1945. »Persönliche Standarte Adolf Hitlers, detailgetreu in Handarbeit, Hakenkreuz im goldenen Eichlaubkranz... schön erhalten« - diese und andere Exponate erregten heftige Kritik. Auch der Bürosessel von Adolf Hitler, Büsten von führenden Funktionären des Dritten Reiches, Briefbeschwerer mit Hakenkreuz und Bücher wie die »Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes« wurden auf der Versteigerung im Schöneberger Hotel »Sachsenhof« angeboten. Die Initiative »Europa ohne Rassismus« rief in einer Presseerklärung zu Protesten gegen die Versteigerung der Nazidevotionalien auf.

In einem am Freitag veröffentlichten Brief an den für die Justiz zuständigen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) wird ein Verbot der Veranstaltung gefordert. Zu den Unterzeichnern gehörten unter anderen der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Andreas Nachama, DGB-Landeschef Dieter Scholz, die Fraktionschefs von PDS und Grünen sowie SPD-Landesgeschäftsführer Ralf Wieland. Widerstand bei der Auktion gab es jedoch kaum. Niemand kam. Außer einigen autonomen Antifaschisten und DGB- Mitgliedern, die sich vor dem Hotel »Sachsenhof« trafen. Allerdings waren mehrere Polizeieinheiten zum Schutz der Veranstaltung in der Nähe aufgefahren.

Der Initiative zufolge soll die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin auf eine Anzeige hin den Verdacht strafbarer Handlungen bei der Auktion verneint haben. Ein Justizsprecher hatte auf Anfrage mitgeteilt, daß präventiv nicht eingegriffen werde könne. Allerdings sollte die Auktion »aufmerksam beobachtet« werden. An der Auktion beteiligten sich über 40 Personen, meist Altnazis, aber auch einige jüngere wollten sich diese Versteigerung nicht entgehen lassen Das »Berliner Auktionshaus für Geschichte« ist mehrfach in die Schlagzeilen geraten. Als hier 1998 KZ-Kleidung zum Kauf angeboten wurde, hatte die jüdische Gemeinde massiv protestiert. Auch mehrfache Durchsuchungen der Polizei in den Geschäftsräumen in der Motzstraße 7 führten nicht zur Schließung. Nach dem Gesetz dürfen Objekte aus der NS-Zeit nur versteigert werden, wenn sie die Käufer zu wissenschaftlichen Zwecken verwenden. Dies war jedoch nicht der Fall, die Käufer sind ausschließlich Alt- und Neonazis.

Donnerstag, 29. Juni 2000

Gedenken an Falco L.

Bündnis mobilisiert zur Antifa-Demo für ermordeten Antifaschisten in Eberswalde

Ralf Fischer / Junge Welt

Zum Gedenken an den Antifaschisten Falco L., der am 31. Mai von dem stadtbekannten Neonazi Mike Bether vor ein fahrendes Taxi gestoßen wurde und wenig später seinen Verletzungen erlag, findet am 2. Juli in Eberswalde eine Demonstration statt. Auch das rechtsextreme »Nationale und Soziale Aktionsbündnis« hat für diesen Tag für die gleiche Zeit und nur wenige Meter entfernt einen Aufmarsch angemeldet. Verantwortlich zeichnet Gordon Reinholz. Er und der »Kameradschaftsbund Barnim« agitieren schon seit Jahren in Eberswalde und Umgebung.

Reinholz wurde erst vor kurzem zum Bundesvorstandsbeisitzer der Jungen Nationaldemokraten (JN) gewählt. Aktiv ist er auch in der bundesweiten Anti- Antifa- Struktur. Seine Wohnung wurde im Rahmen einer länderübergreifenden Razzia gegen Neonazis Anfang dieses Jahres durchsucht. Das »Nationale Aktionsbündnis Mitteldeutschland« wurde in diesem Jahr vor allem bei der Mobilisierung zum Gedenken an Horst Wessel aktiv, auch bei den Aufmärschen in Berlin ist das »Kameradschaftsbündnis« in der ersten Reihe marschiert. Das Konzept dieses Bündnisses ist eine Kopie des seit längerem aktiven »Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland«. Die bekannten Hamburger Neonazis Christian Worch und Thomas Wulff schufen das Bündnis als Zusammenschluß »freier Kameradschaften«, um mehr Druck von rechts auf die NPD ausüben zu können und eigene »unabhängige« Strukturen zu schaffen. In diesen Bündnissen sammeln sich militante Neonazis bis hin zu Funktionären der Rechtsparteien.

Die Polizei will die Neonazidemonstration verbieten, doch sie verweist auf die Gerichte als letzte Entscheidungsinstanz. Die Antifaschisten vor Ort rechnen mit einem großen Polizeiaufgebot und massiven Vorkontrollen, egal ob der Neonaziaufmarsch verboten wird oder nicht. Das antifaschistische Bündnis in Eberswalde ruft in seiner Presseerklärung dazu auf, »daß Mensch auch ohne Gewalt dem rechten Konsens entschieden entgegentreten kann«.

Auch die stark engagierte Jugendinitiative Kontroverse will »unbedingt ein gewaltloses Zeichen gegen den rechten Haß in unserer Umgebung setzen«. Bei der ersten Demonstration gegen den Mord an Falco L. gab es anschließend Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei.

Donnerstag, 22. Juni 2000

Demo in Eberswalde

Übergriffe von Neonazis halten an. Antifaschistische Demonstration am 2. Juli

Ralf Fischer / Junge Welt

Am Pfingstwochenende wurden gegen zwei Neonazis, die einen Jugendtreff der linken Szene in Eberswalde demoliert hatten, Haftbefehle vollstreckt. Ausgangspunkt für die Zerstörungen am linken Treff »Rockbahnhof« war nach Aussagen eines 17jährigen Tatverdächtigen eine Wette, ob man sich traue, Linke zu provozieren. Aus Frust, am »Rockbahnhof« keine Linken getroffen zu haben, habe man Jalousien und Eingangstür beschädigt.

Nachdem am 31. Mai in Eberswalde der 22jährige Falco L. von einem Rechtsradikalen ermordet worden war, gab es immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen. Falco L. starb an einem Lungenriß, nachdem er vor ein fahrendes Taxi gestoßen worden war. Vier Tage danach fand eine Antifademonstration mit über 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Kurz nach der Kundgebung am Tatort erfuhren die Demonstranten, daß sich im nahegelegenen Neubaugebiet provokativ Rechte versammelten. Daraufhin löste sich ein Teil der Antifaschisten vom Zug und geriet wenig später in Auseinandersetzungen mit Polizei und Bundesgrenzschutz. An einem von Rechten dominierten Jugendklub gingen Scheiben zu Bruch. Eine Woche später wurde ein Brandanschlag auf die Bushaltestelle, an der Falco starb, verübt. Die mit Blumen und Kerzen geschmückte Bushaltestelle wurde verwüstet. Auch der evangelische Jugendkeller, in dem sich linke Jugendliche treffen, wird immer wieder Opfer von rechten Angriffen.

Der Druck auf Antifaschistinnen und Antifaschisten in Eberswalde wird immer größer. Einerseits verüben Rechte immer wieder Übergriffe auf Linke und linke Projekte, andererseits versuchen Stadtverwaltung und Polizei den Mord an Falco L. zu entpolitisieren und den Widerstand dagegen zu kriminalisieren. Die Vertuschung des politischen Hintergrundes des Mordes und die Kriminalisierung von Antifaschisten sollen auch auf der Antifademonstration am 2. Juli thematisiert werden. Unter dem Motto »Kein Vergeben - Kein Vergessen« soll Falco und allen anderen Opfern von Neonazis gedacht werden.

Montag, 19. Juni 2000

Offensiv gegen Rechts

Nazis marschierten im mehreren Städten. Antifaschisten hielten dagegen

Ralf Fischer & Anke Fuchs / Junge Welt

Am Sonnabend marschierten in mehreren ostdeutschen Städten und in Berlin mehr als 900 Neonazis. In Magdeburg sammelten sich rund 250 NPD-Anhänger mit schwarz-weiß- roten Fahnen und skandierten »Hier marschiert der nationale Widerstand«. In Görlitz kamen rund 300 und in Königs Wusterhausen bei Berlin knapp 250 Neonazis zu Kundgebungen zusammen. In Berlin versammelten sich zudem etwa 30 Anhänger der Republikaner am Brandenburger Tor mit einem Transparent »SED/PDS - Die Mörder sind unter uns«. Im brandenburgischen Milmersdorf löste die Polizei am Sonnabend eine als Party getarnte Zusammenkunft von rund 60 Neofaschisten aus Templin, Schwedt und Angermünde auf. An allen anderen Orten schützten massive Polizeiaufgebote die Neonazis und sorgten dafür, daß es zu keinen Zusammenstößen mit Antifaschistinnen und Antifaschisten kommen konnte. Denn diese waren zahlreich auf den Straßen. Überall, wo sich Neonazis versammelten, standen ihnen Gegendemonstranten gegenüber, aber auch in Dessau, Leipzig und Chemnitz demonstrierten Antifaschistinnen und Antifaschisten gegen neofaschistische Gewalt.

In Dessau gedachten am Freitag abend über 2 000 Menschen des ermordeten Alberto Adriano, der am Pfingstwochenende von drei Rechtsextremisten im Dessauer Stadtpark zusammengeschlagen worden war und drei Tage später starb. Zahlreiche Politiker hatten nach dem Mord an dem Mocambiquaner zu mehr Zivilcourage aufgerufen. So warnte die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Marieluise Beck: »Wenn der Geist der Springerstiefel Oberhand gewinnt, trifft es heute den Schwarzen, morgen den Homosexuellen und übermorgen den Liberalen«. An der Spitze des Trauerzugs lief Ministerpräsident Reinhard Höppner mit. Alberto Adriano sei der erste ermordete Ausländer in Sachsen-Anhalt, sagte der SPD-Politiker. »Aber bei uns wurden auch schon zwei junge Punks erschlagen«, erinnerte er an Torsten Lamprecht und Frank Böttcher, die 1992 beziehungsweise 1997 von Skinheads brutal ermordet worden waren. Auf einer nach der offiziellen Trauerkundgebung stattfindenden Spontandemonstration autonomer Antifaschisten wurde die Wut über den Mord, aber auch über die unerträgliche Heuchelei der Politiker deutlich, für deren antirassistische Bekundungen es erst eines weiteren Mordes bedurft hatte. Die 400 Antifaschisten wiesen in Sprechchören und Redebeiträgen darauf hin, daß dieser Staat und seine Politiker Mitverantwortung für den alltäglichen Rassismus tragen.

Die Demonstration am Sonnabend nachmittag in Leipzig- Grünau setzte ein offensives Zeichen gegen die rechtsextremen Strukturen und die rechte Subkultur im Stadtbezirk. Bundesweit bekannt geworden war Grünau durch einen Jugendtreff, der von neofaschistischen Kadern zum Ausbau ihrer Strukturen genutzt werden konnte. Das Kirschberghaus, so hieß der Jugendtreff, war zwar zunächst wegen massiver Proteste geschlossen worden, konnte aber einige Monate später mit neuem Konzept wiedereröffnet werden. Selbst staatliche Stellen geben zu, daß der Stadtbezirk weiterhin von Neofaschisten geprägt wird. Sämtliche Jugendclubs sind von Neofaschisten und deren Umfeld okkupiert, Übergriffe auf andersaussehende und andersdenkende Menschen sind keine Seltenheit. Gegen diese Entwicklung stellt sich die Grünauer Antifa-Gruppe. Die Demonstration am Sonnabend war der Höhepunkt ihrer Kampagne für ein alternatives Jugendzentrum in Grünau und gegen das Schweigen eines Großteils der Bevölkerung zu neofaschistischen Aktivitäten und Übergriffen. Neben antifaschistischen Gruppen gehörte auch die örtliche PDS zu den Aufrufern. In einer gemeinsamen Erklärung heißt es: »Wir wollen nicht etwa einen Stadtteil als braunen Fleck auf der Landkarte stigmatisieren, sondern zeigen, daß Zivilcourage und antifaschistischer Widerstand den Neonazis keine Chance einräumen werden.«

Donnerstag, 8. Juni 2000

Sammelpunkt rechter Aktivitäten

Königs Wusterhausen: Antifa-Bündnis kündigt für 17. Juni Gegenoffensive an

Ralf Fischer / Junge Welt

Seit Jahren ist die südlich Berlins gelegene Kleinstadt Königs Wusterhausen (KW) eine Hochburg rechtsextremer Aktivitäten. In festen Strukturen organisiert oder Bestandteil einer rechten Sub»kultur« - Rechtsextremisten dominieren das Stadtbild von KW. Angriffe auf Migranten und Andersdenkende sind scheinbar zur Normalität geworden.

So zum Beispiel im November 1998: William Z., ein Flüchtling aus Kamerun, wird am Bahnhof von drei rechtsextrem orientierten Männern angegriffen. Taxifahrer, die den Übergriff beobachteten, verweigerten selbst nach Aufforderung jegliche Hilfe. Ungehindert konnten die Täter auf ihr Opfer einschlagen.

Große Teile der brandenburgischen Bevölkerung nehmen diese und andere braune Umtriebe kaum oder gar nicht zur Kenntnis; sie stehen damit im Einklang mit Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Obwohl es laut Verfassungsschutzbericht 1999 einen deutlichen Anstieg rechtsextremer Aktivitäten und Gewalttaten in Brandenburg gibt, übt sich Schönbohm lieber darin, über einen »Präventionsrat gegen Kriminalität« mit dem Schwerpunkt »Linksextremismus« zu debattieren. Diese Strategie der Verharmlosung rechtsextremistischer Aktivitäten und Hetze gegen antifaschistisch aktive Menschen und Organisationen hat Schönbohm schon zu seiner Zeit als Innensenator in Berlin erfolgreich angewandt. Mit bekannten Auswirkungen: Rechtsextremisten jeglicher Colour können in Berlin unter Polizeischutz marschieren, wann und wo sie wollen, während antifaschistische Strukturen kriminalisiert und ihre Demonstrationen allzu häufig verboten wurden. Eckart Werthebach führt diese Tradition fort.

Neben offenem Terror gegen politisch mißliebige Personen und Einrichtungen, gibt es Bemühungen der Rechtsextremisten in Königs Wusterhausen, eine Verankerung ihrer politischen Ideen auch innerhalb des jugend-kulturellen Bereichs zu erreichen und öffentliche Treffpunkte für sich zu vereinnahmen. Dies wird durch Arbeitsteilung gewährleistet: Auf der einen Seite die »unabhängigen« Kameradschaften, auf der anderen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) mit ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN). Die Kameradschaften, die sich lange Zeit eine (sub)»kulturelle« Eigenständigkeit gegenüber Altnaziparteien, wie der NPD, bewahrt haben, sprechen eher den »erlebnisorientierten« Teil der rechten Jugend»kultur« an. Diese Strukturen binden die Jungnazis dann allmählich in ihren engeren Kreis ein, und wenn es sich anbietet, zeigt sich als mögliche höhere Karrierestufe die Rekrutierung als Kaderanwärter in der JN.

Als einflußreichste Kameradschaft in sogenannter »Anti- Antifa«-Arbeit vor Ort übt sich die Kameradschaft »United Skins Königs Wusterhausen«. Deren Spezialgebiet ist auch die Organisierung von »Blood & Honour«-Konzerten. Zudem bringt sie ein eigenes Skinhead-Fanzine heraus. Bislang autonom agierend, sammelt auch diese militante Gruppierung sich unter dem Dach der NPD und fungiert mittlerweile als deren »Schutztruppe«.

Die NPD im Kreis Dahme-Spreewald ist nach eigenen Angaben mit mehreren hundert Mitgliedern der zweitgrößte Kreisverband der NPD. Der langjährige Vorsitzende der NPD Berlin-Brandenburg, Lutz Reichel, ist weiterhin maßgeblich am Aufbau beteiligt. Er und andere Funktionäre organisierten diverse Veranstaltungen. Reichel hielt Mitte Februar diesen Jahres eine »Reichsgründungsfeier« in seinem Wohnort Friedersdorf nahe KW ab. Wenige Tage später baute er gemeinsam mit angereisten Kameraden und lokalen »United Skins«-Schlägern unter Polizeischutz einen NPD-Infostand in der Innenstadt von KW auf.
Durch den Anfang 2000 vollzogenen Umzug der Bundesparteizentrale der NPD von Stuttgart nach Berlin- Köpenick ist eine zunehmende Konzentration organisierter Faschisten im Südosten Berlins und Umgebung zu beobachten.

Für den 17. Juni hat ein breites Antifabündnis eine Demonstration unter dem Motto »Für eine antifaschistische Jugendkultur - den NPD-Zentralen in Königs Wusterhausen und Köpenick entgegentreten!« angemeldet. Sie richtet sich auch gegen einen von der NPD für denselben Tag angekündigten Aufmarsch. Die Demonstration soll aber nicht vom Aufmarsch der Nazis abhängig sein. Die Aufrufer wollen »durch ein breites antifaschistisches Bündnis« erreichen, daß die NPD ihre menschenverachtende, rassistische Hetzpropaganda nicht auf die Straße bringt.

Die Polizei teilte allerdings gestern mündlich ihr Verbot der Demonstration mit. Im Vorfeld wurden durch Polizei, Stadt und einige Medien NPD und antifaschistisches Bündnis als gefährlich gleichgesetzt. So haben die Königs Wusterhausener Stadtverordneten aller Parteien auch gegen die antifaschistische Bündnisdemonstration gestimmt und deren Verbot gefordert - getreu der Totalitarismus-These folgend. Das Antifa-Bündnis ruft trotzdem zur Demo auf. Beginn ist 11 Uhr, Bahnhofsvorplatz, KW.

Freitag, 12. Mai 2000

Verbot für Aufmärsche der Neonazis gefordert

Protest gegen NPD-Umzüge in Prenzlau und Weimar

Ralf Fischer / Junge Welt

Nach den Aufmärschen am 1.Mai will die NPD nun wieder am 13. Mai in Weimar und Prenzlau Stärke demonstrieren. Nachdem in Weimar die NPD-Demonstration zum 1.Mai verboten worden ist, wird davon ausgegangen, daß diese Demonstration erlaubt wird. Mit den häufigen Aufmärschen versucht die NPD, ihren Mitgliedern und Sympathisanten ein erfolgreiches Massenevent zu bieten. Andererseits will sie damit erreichen, daß Neonaziaufmärsche zur Normalität werden. Deshalb sei es wichtig, jedem Aufmarschversuch offensiv entgegenzutreten, sagte ein junger Antifaschist aus Weimar gegenüber jW. »Wenn die Faschisten ohne Gegenwehr marschieren, ist es ihnen gelungen, Teil der Normalität zu werden«, fuhr er fort. In Weimar mobilisiert ein breites Bündnis von autonomer Antifa bis hin zu Gewerkschaften gegen die Provokation der NPD. Treffpunkt ist am Sonnabend um 12 Uhr auf dem Goetheplatz in Weimar. Auch in Prenzlau ist es nicht das erste Mal, daß die NPD aufmarschiert. Diesmal will sie unter dem Motto »Rote Karte für Einwanderer - Deutschland ist kein Einwanderungsland« durch die Stadt ziehen. Eine für den 13.Mai in Eberswalde von der NPD angemeldete Demonstration wurde am Mittwoch in erster Instanz verboten.

Donnerstag, 4. Mai 2000

Sachsens NPD trommelt zum Sammeln

Mit »geschlossenen Reihen« und »hochmotivierten Kämpfern« zurück in die Vergangenheit

Ralf Fischer / Junge Welt

Unter der Überschrift »NPD 2000. Mit geschlossenen Reihen vorwärts« beschwört Winfried Petzold, als Vorsitzende des rechtsextremen NPD-Landesverbandes Sachsen, in der neuesten Ausgabe der parteieigenen »Sachsenstimme« eine Untergangsstimmung. »Weltvergifter und Verderber aller Völker« würden kurz vor Erreichen ihres Zieles stehen: »einer Diktatur des Weltkapitals mit totaler Zerstörung gewachsener Kulturen«. Der »Raffgierkapitalismus« würde freie Völker versklaven und die Erde »in ein Leichenhaus« verwandeln. Die Demokratie bilde als politische Ausdrucksform des Kapitalismus dabei den Rahmen für dieses »selbstmörderische Unternehmen«.

Der sächsische Landesverband ist mit seinen derzeit 1200 Mitgliedern der größte der NPD. Jedoch lösten sich vor einem Jahr eine Reihe von Funktionären von der Sachsen-NPD. Diese empfanden den Landesverband als zu liberal, auch die Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) ging der Partei fast ausnahmslos verloren.

Im Zuge der Spaltung kam es zur Gründung des »Bildungswerkes Deutsche Volksgemeinschaft« (BDVG). Neben ehemals sächsischen NPD-Kadern beteiligten sich an diesem Konzept auch »Abtrünnige« aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Das Programm des BDVG ist in Inhalt und Terminologie an den historischen Nationalsozialismus angelehnt.

Mittlerweile schwenkt auch Winfried Petzold auf diesen Kurs ein. In dem insgesamt aggressiv formulierten Beitrag hält er Wahlen für ein ungeeignetes Mittel, um politische Veränderungen zu erreichen, und führt an, daß es noch andere Methoden gebe, um politisch wirksam zu werden. Dafür seien entschlossene, hochmotivierte Kämpfer erforderlich. Mit anderen Kräften könne man keine »revolutionäre« Umgestaltung durchführen.

Damit entspricht er der Strategie des BDVG, das die Kaderschulung in den Vordergrund stellt und den Anspruch erhebt, »die Volksgemeinschaft im Kleinen« vorzuleben. Weiter führt Petzold aus: »Der zweifellos bevorstehende Endkampf bedarf gut geschulter politischer Soldaten, die aus voller Überzeugung bereit sind, im Notfall alles zu opfern, ja das Letzte zu geben.«

Offen vollzieht die sächsische NPD einen Kurswechsel. Die Partei habe aus »wahltaktischen Gründen« in Sachsen vor der Landtagswahl keine Aufmärsche mehr durchgeführt. Doch künftig werde sie auf das bewährte Kampfmittel nicht mehr verzichten. Zur »Stärkung der Kampfmoral« seien prägende Gemeinschaftserlebnisse nicht zu unterschätzen. »Fahnen, Trommeln sowie exakte Marschformationen erschrecken lediglich jene, die in Chaos, Gewalt, Anarchie und Zerstörung ihr Ideal sehen.«

Er resümiert: Nur mit »entschlossenen, hochmotivierten Kämpfern für die deutsche Sache« könne man eine Änderung der politischen und damit wirtschaftlichen Verhältnisse erreichen. Es läge nach »10 Jahren BRD in Mitteldeutschland« klar auf der Hand, daß »ein Wandel zum Besseren durch Wahlen nicht zu erreichen ist«. Die NPD verstehe sich als »Kampf- und Sammlungsbewegung aller nationalen Kräfte, sie ist kein Wahlverein.« Er sieht für die NPD im »erfolglosen Wahlprozentkampf« keine Chancen, vielmehr müsse man die eigene Stärke und interne Struktur vergrößern - die »Bewegung zu einer Festung« ausbauen.

Dieser besorgniserregende Trend stößt im bürgerlichen Lager auf keinerlei Widerstand. Es gab in Sachsen in diesem Jahr gegen die Aufmärsche der Rechtsextremen keine erkennbaren Aktivitäten von Parteien und Gewerkschaften. Demonstrationen und andere Aktivitäten gingen bisher ausschließlich von regional aktiven Antifagruppen aus.

Dienstag, 18. April 2000

Zuckerbrot und Peitsche

Vorbereitungen der Berliner Polizei für den 1. Mai. Briefe an Demonstranten

Ralf Fischer / Junge Welt

Der 1. Mai steht vor der Tür. Auch in diesem Jahr für die Berliner Polizei ein »Arbeitstag«, auf den sie sich mit unterschiedlichen Strategien vorbereitet. Erst vergangene Woche wurde der Öffentlichkeit bei einer Pressekonfernz das alte AHA-Konzept vorgelegt, bei der Aufmerksamkeit, Hilfe und Appelle (jW berichtete) im Mittelpunkt einer deeskalierenden Polizeiarbeit stehen sollen. Diesmal wurde das übliche Programm etwas erweitert. So soll zum Beispiel am 30. April ein von der Polizei organisiertes Familienfest auf dem Kollwitzplatz stattfinden. Auch das Anti-Gewalt-Mobil, schon im letzten Jahr im Einsatz, wird wieder aus der Mottenkiste geholt. In diesem ehemaligen Polizeiwagen werden Waffen ausgestellt, die am 1. Mai angeblich gegen die Polizei zum Einsatz gekommen sind.

Wie im vergangenen Jahr, so wurden auch diesen April wieder junge Aktivisten der linken Szene von der Polizei persönlich angeschrieben. In dem Standardschreiben heißt es trocken, »nach polizeilichen Erkenntnissen sind Sie in der Vergangenheit als Teilnehmer an gewalttätigen Versammlungen festgestellt worden«. Bereits 1999 drohte die Polizei einigen Linken mit dauerhaften Beschattungen und Festnahmen, falls sie sich am 1. Mai politisch artikulieren sollten. Dieses Jahr liest sich diese Einschüchterung durch die Blume ein bißchen freundlicher: »Wir weisen Sie daher darauf hin, daß gewalttätige Handlungen einen Verstoß gegen geltende Gesetze darstellen. Die Polizei von Berlin wird ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend derartige Gesetzesverstöße konsequent verfolgen.«

Der Zweck der letzte Woche verschickten Briefe liegt auf der Hand. Der Brief schließt mit den Worten: »Falls Sie die Absicht haben, sich an den Veranstaltungen zum diesjährigen 1. Mai zu beteiligen, appellieren wir an Sie, dies friedlich zu tun.« Worte, die den Empfängern klarmachen sollen: Wir haben euch im Visier.

Eine betroffene Personen sagte gegenüber junge Welt, daß nichts und niemand sie davon abhalten könne, am 1. Mai für eine gerechtere und solidarische Welt zu demonstrieren. Schließlich gingen die Auseinandersetzungen mit der Polizei, wie letztes Jahr, »fast immer von der Polizei aus« oder würden von Polizisten provoziert.

Donnerstag, 13. April 2000

Versammlungsfreiheit eingekesselt

Prozesse gegen Teilnehmer einer Anti-Rep-Kundgebung am Tag der Abgeordnetenhauswahlen in Berlin

Ralf Fischer / Junge Welt

Wegen der Teilnahme an einer Spontankundgebung in Berlin- Pankow im Oktober letzten Jahres vor der Bundes- und Landeszentrale der Republikaner müssen sich in den nächsten Wochen acht Antifaschisten verantworten. Beschuldigt werden sie des »Widerstands gegen die Staatsgewalt« und des »Landfriedensbruchs«. Fälle wie dieser reihen sich lückenlos in eine Reihe von Kriminalisierungen politischer Gegner ein, wie sie in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten praktiziert wird. Opfer dieser Art von Repression sind aktive Antifaschisten, Andersdenkende sowie Flüchtlinge und Obdachlose. Auf der anderen Seite werden Rechtsextreme zu Opfern stilisiert und ihre Aktivitäten verharmlost oder sogar legitimiert.

Zum Fall: Am 10. Oktober 1999 fanden in Berlin die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen statt. Angesichts der Prognosen, daß es den rechtsextremen Republikanern gelingen könnte, den Sprung in einige Kommunalparlamente zu schaffen, versammelten sich in den frühen Abendstunden etwa 80 Antifaschisten spontan vor dem Gartenhaus der Villa Garbáty in Pankow. Das Haus dient seit Anfang 1999 als Bundeszentrale für die Neonazi-Partei. Eine Anmeldung der Kundgebung wurde unmöglich gemacht, da von den rund 100 Beamten aus Pankow und Wedding niemand bereit war, diese entgegenzunehmen. Ein massiver Eingriff in die Versammlungsfreiheit.

Innerhalb kürzester Zeit sahen sich die Protestierenden mit einer aggressiv auftretenden Polizeihundertschaft konfrontiert. Ein Transparent und Sprechchöre der vorrangig jugendlichen Teilnehmer reichten den Beamten schon aus, um mit äußerster Brutalität gegen die sie vorzugehen. Durch Tritte und Stöße der Polizisten kam es zu zahlreichen Stürzen und Verletzungen. Um weitere Provokationen durch die Hüter von Gesetz und Ordnung zu umgehen, beschlossen die Demonstranten kurzerhand, in einer größeren Gruppe den Heimweg anzutreten. Damit sollte vor allem ein ungehinderter Abzug gesichert werden. Mit der Bildung von Spalieren sowie der Einkesselung durch die Polizei wurde der Abzug jedoch verhindert. Es kam zu einem Gerangel, in dessen Verlauf acht Antifaschisten festgenommen wurden. Sie erfuhren dabei weder den Grund ihrer Festnahme noch erhielten sie auf Anfrage die Dienstnummern der an ihrer Verhaftung beteiligten Beamten. Während der Festnahmen kam es zu zahlreichen Provokationen und Beleidigungen durch Polizisten. Die acht wurden in die Gefangenensammelstelle Wedding gefahren.

Trotz mehrerer Anfragen erfuhren die Verhafteten weiterhin nicht, aus welchem Grund ihre Festnahme erfolgte. Rechtsanwälte oder Angehörige konnten nicht informiert werden. Entlassen wurden die Betroffenen erst am späten Abend, nachdem sie sich noch einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterziehen mußten.

Diesem illegalen Handeln der Polizei will sich eine Gruppe junger Antifaschisten entgegenstellen. Sie wollen auf das Vorgehen der Polizei aufmerksam machen und für die Betroffenen Hilfe organisieren. Die wichtigste Aufgabe, die sich die »Antirepressionsgruppe 10.10.99« stellt, ist der Versuch, das Vorgehen der Polizei transparent zu machen. Sie hoffen mit Hilfe einer kritischen Öffentlichkeit die Einstellung der Verfahren zu erreichen.

Am kommenden Samstag ab 16 Uhr gibt es aus diesem Grund ein Antifa-Soli-Konzert in der Kulturfabrik Berlin- Moabit.

Donnerstag, 27. Januar 2000

Plakate im Berliner Norden

Neuer faschistischer Sammlungsversuch der »Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front«

Ralf Fischer / Junge Welt

In den letzten Wochen wurden im Berliner Norden zunehmend Plakate der Gruppe »Kampfbund Deutscher Sozialisten« (KDS) geklebt. Als »Verantwortliche« fungieren die bekannten Nazikader Thomas Brehl und Michael Koth. Der schon in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Brandenburg aktive KDS hat sich zur Aufgabe gestellt, »rechte und linke Sozialisten« zusammenzuführen.

Auf den Plakaten ist unter anderem ein Brief Brehls unter der Überschrift »Hände weg von Egon Krenz!« zu sehen. In dem Schreiben meint der bekennende Nationalsozialist, daß die ideologischen Gräben zwischen ihm und Egon Krenz nur auf »Mißverständnissen beruhen«. Weiter schreibt Brehl, daß er sich für die nächste Zeit eine »politische Wende« erhoffe und ein gemeinsamer Weg zum »deutschen Sozialismus« gefunden werden müsse. Thomas Brehl ist seit Jahrzehnten in der faschistischen »Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front« (GdNF) organisiert. Neben ihm haben sich weitere GdNF- Kader wie Frank Hübner in der KDS wiedergefunden.

Die GdNF ist eine Organisation, die an die Tradition der SA unter Ernst Röhm anknüpft und Ende der siebziger Jahre von Michael Kühnen gegründet wurde. Die Gruppe wurde in den 80er Jahren der Knotenpunkt von Neofaschisten in Westdeutschland und schuf eine Reihe von Vorfeldorganisationen - darunter die Gruppierungen »Nationale Sammlung«, »Deutsche Alternative« (DA), »Nationale Liste«, »Nationale Alternative« und den »Nationalen Block«. Ende der 80er überzog ein Geflecht von kleineren Neonazi-Gruppen unter Anleitung der GdNF die BRD.

Die »Vereinigung« von BRD und DDR bestärkte die GdNF massiv. So gewann die »Deutsche Alternative« (DA) insbesondere 1991 und 1992 bei rechts gesinnten Jugendlichen im Osten an Popularität. Es folgten die Angriffe und Ausschreitungen in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Quedlinburg.

Frank Hübner, Vorsitzender der in Spitzenzeiten bis zu 1 000 Mitglieder zählenden DA, war einer der Organisatoren des GdNF-Netzwerkes in Ostdeutschland. Die Strategie der Gesinnungsgemeinschaft - mit einem öffentlichen Auftreten als scheinbar lockere Ansammlung, die nur eine gemeinsame Ideologie verbindet - ist aufgegangen. Die Ermittlungsbehörden sind nie gegen das eigentliche Kaderzentrum vorgegangen, sondern immer nur gegen die Vorfeldorganisationen. So wurde 1993 die DA verboten, die Mitglieder kamen schnell wieder in den unterschiedlichsten Projekten unter. Der größte Teil ging zu den »Jungen Nationaldemokraten« (JN), der Jugendorganisation der NPD.